Das Zielleistungsprinzip besagt, dass ein Arzt eine Leistung nicht mehrfach abrechnen darf, sondern eben nur die eigentliche, die Zielleistung. Das Zielleistungsprinzip ist in § 4 Abs. 2a der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) festgeschrieben und wird in ihrem Abschnitt L konkretisiert.
Der Bundesgerichtshof interpretiert das Zielleistungsprinzip wie folgt: „Der Arzt darf ein und dieselbe Leistung, die zugleich Bestandteil einer von ihm gleichfalls vorgenommenen umfassenderen Leistung ist, nicht zweimal abrechnen. Daraus folgt zugleich die Selbstverständlichkeit, dass Leistungen, die nicht Bestandteil einer anderen abgerechneten Leistung sind, abrechenbar sind, soweit es sich um selbstständige Leistungen handelt“ (BGH, Urteil vom 05.06.2008, Az.: III ZR 239/07).
Die Gebührenordnung für Ärzte bestimmt, wie Ärzte ihre Leistungen abrechnen müssen und wie ihre Leistungen vergütet werden. Sie zählt dafür ärztliche Leistungen auf, spricht ihnen einen bestimmten Punktwert zu und gibt dem Arzt die Möglichkeit, diesen Wert, je nach Schwierigkeit der Behandlung im Einzelfall, zu erhöhen oder abzusenken. (Zur Gebührenordnung siehe hier.)
Das Zielleistungsprinzip will der Gefahr der Doppelabrechnung entgegen wirken, die sich aus der Möglichkeit des Arztes ergibt, anstatt der Gesamtleistung jede darin enthaltene Teilleistung einzeln abzurechnen.
Da das Zielleistungsprinzip sich aus der Funktionsweise der GOÄ ergibt, gilt es nur dort, wo die GOÄ gilt. Sie gilt zum Beispiel nicht für vertragsärztliche Leistungen, also solche gegenüber gesetzlich versicherten Patienten, sondern nur für Leistungen, die privat gezahlt werden. Dazu zählen Leistungen gegenüber den sogenannten Privatversicherten bzw. Personen, die überhaupt nicht krankenversichert sind, sowie Wahlleistungen und individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL).
Wahlleistungen sind zusätzliche Leistungen, die ein Patient mit einem Krankenhausträger vereinbaren kann (wie zum Beispiel die Einzelbettenbelegung oder die Chefarztbehandlung). Über den Arztzusatzvertrag kann auch der Arzt direkt zur Erbringung der Leistung verpflichtet werden.
Bei den IGeL handelt es sich um Leistungen, die sozialversicherte (also Kassen-)Patienten mit einem Arzt vereinbaren können. Es sind Zusatzleistungen, die von ihrer Krankenkasse nicht finanziert werden, entweder weil sie dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch V, SGB V) widersprechen oder zu neu sind und noch keine entsprechenden Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 135 Abs. 1 SGB V vorliegen. (Näheres können Sie unter den Stichwörtern IGeL und Vertragsarzt nachlesen.)
Im Einzelnen bestimmt § 4 Abs. 2a Satz 1 und 2 GOÄ, dass ein Arzt für eine Leistung, die Bestandteil oder besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, keine besondere Gebühr berechnen darf, wenn er schon für die andere Leistung eine Gebühr berechnet. Dies gilt auch für die methodisch notwendigen operativen Einzelschritte zur Erbringung der im Gebührenverzeichnis aufgeführten operativen Leistungen.
Insoweit wird in den Allgemeinen Bestimmungen der GOÄ zum Abschnitt L ausgeführt, dass zur Erbringung der in diesem Abschnitt aufgeführten typischen operativen Leistungen in der Regel mehrere operative Einzelschritte erforderlich sind. Sind diese Einzelschritte methodisch notwendige Bestandteile der in der jeweiligen Leistungsbeschreibung genannten Zielleistung, so können sie nicht gesondert berechnet werden.
Ja, im Umkehrschluss aus § 4 Abs. 2 a GOÄ und den Allgemeinen Bestimmungen zu Abschnitt L der GOÄ folgert der BGH, dass Leistungen, die nicht Bestandteil einer anderen abrechenbaren Leistung und damit selbstständig sind, selbstverständlich getrennt abrechenbar sind. Daraus folgt wiederum die Möglichkeit, dass ein Arzt, der mehrere Zielleistungen erbracht hat, sie natürlich auch getrennt abrechnen darf.
Als selbständig in Betracht kommen nach Ansicht des BGH übrigens prinzipiell alle in der GOÄ aufgezählten Leistungen.
Der BGH hat insofern ausgeführt, dass es nicht davon abhängt, ob die jeweilige Leistung im konkreten Einzelfall notwendig war, um anschließend die andere Leistung zu erbringen. Der BGH betrachtet vielmehr jeden Einzelfall gesondert. Die Entscheidung ist abhängig von Inhalt, Wert und Stellung der Leistungen im System der GOÄ und ob für sie eine eigenständige medizinische Indikation besteht.
Um dies beurteilen zu können, muss man freilich verstehen, was mit den einzelnen in der GOÄ aufgeführten Leistungen gemeint ist. Richter bedienen sich dafür regelmäßig eines medizinischen Sachverständigen.
Der BGH lehnt jedenfalls die selbständige Abrechnung von Leistungen ab, deren Zweck lediglich darin besteht, beim Erreichen des Operationsziels benachbarte Strukturen zu schonen und nicht zu verletzen. Diese sind von der Zielleistung bereits umfasst.
Bei der Bestimmung der "Selbständigkeit" einer Leistung handelt es sich um Entscheidungen im Einzelfall. Im Einzelnen hat der BGH bereits entschieden:
- Nr. 3013 (Intrathorakaler Eingriff am Lymphgefäßsystem) umfasse Nr. 3126 (Intrathorakaler Eingriff am Ösophagus), sofern es um die Ablösung und Entfernung der an der Speiseröhre anhaftenden Lymphknoten geht,
- Nr. 2297 (Operation des Hallux valgus mit Gelenkkopfresektion und anschließender Gelenkplastik und/ oder Mittelfußosteotomie) ist eine Komplexleistung, die eine selbständige Abrechnung der Leistungen nach den Nr. 2295 (Exostosenabmeißelung bei Hallux valgus) und Nr. 2296 (Exostosenabmeißelung bei Hallux valgus einschließlich Sehnenverpflanzung) ausschließe.
- Nr. 2975 (Dekortikation der Lunge) stellt eine selbständige Leistung neben Nr. 2297 dar.
- Nr. 2760 (Ausräumung des regionären Lymphstromgebietes einer Halsseite), Nr. 2583 (Neurolyse) und Nr. 2803 (Freilegung und/oder Unterbindung eines Blutgefäßes am Hals) sind nicht neben Nr. 2757 (Radikaloperation der bösartigen Schilddrüsengeschwulst einschließlich Ausräumung der regionären Lymphstromgebiete und gegebenenfalls der Nachbarorgane) berechenbar.
- Die Freilegung und/oder Unterbindung eines Blutgefäßes in der Brust- oder Bauchhöhle (Nr. 2802) sei - wie die Leistungslegende hervorhebt - nur als selbständige Leistung abrechenbar.
Der BGH hat zwar entschieden, dass die Zahlungsverpflichtung trotzdem fällig wird, auch wenn sie nicht ordnungsgemäß im Sinne der GOÄ erfolgte. Allerdings trete kein Verzug (§ 286 Abs. 4 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB) ein, da der Patient nichts dafür könne, die Leistung nicht beglichen zu haben, denn er habe ja keine ordnungsgemäße Rechnung erhalten.
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Letzte Überarbeitung: 13. Juni 2012