Chefärzte sind Arbeitnehmer, für die die arbeitsrechtlichen (Schutz)vorschriften im Allgemeinen gelten. Und sie sind leitende Angestellte - im sozialen, beruflichen und finanziellen Sinne, sieht man auf ihre herausgehobene berufliche Verantwortung und ihre exponierte Stellung in der Betriebsorganisation. Aber dieser soziale Status macht sie noch nicht zu leitenden Angestellte im arbeitsrechtlichen Sinne, d.h. im Sinne des Kündigungsschutzrechts und des Betriebsverfassungsrechts. Und während mit dem sozialen Status als leitender Angesteller Vorteile verbunden sind, hat man handfeste Nachteile, wenn man leitender Angestellter im Rechtssinne ist.
Wer nämlich leitender Angestellter im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) ist, kann sich zwar wie andere Arbeitnehmer gegen arbeitgeberseitige Kündigungen gerichtlich zur Wehr setzen, d.h. die Wirksamkeit einer solche Kündigung arbeitsgerichtlich überprüfen lassen, doch kann das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers - trotz einer eigentlich unwirksamen Kündigung - gegen Zahlung einer Abfindung vom Arbeitsgericht aufgelöst werden (§14 Abs. 2 KSchG). Infolgedessen gelten die gesetzlichen Vorschriften des Kündigungsschutzes zwar im Prinzip auch für leitende Angestellte, doch ist deren Kündigungsschutz in einem entscheidenden Punkt abgeschwächt.
Und ist man leitender Angestellter im Sinne der Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG), hat man mit dem Betriebsrat nichts zu schaffen. Weder nehmen leitende Angestellte an den Wahlen zum Betriebsrat teil noch hat der Betriebsrat Mitbestimmungsrechte in Fragen, die leitende Angestellte betreffen (§ 5 Abs. 3 BetrVG). Da der Betriebsrat demzufolge bei Einstellungen, Versetzungen und Kündigungen von leitenden Angestellten nicht zu beteiligen ist, entfällt der mit diesen Beteiligungsrechten verbundene Schutz des bettroffenen Arbeitnehmers vor einseitigen Maßnahmen des Arbeitgebers. Leitende Angestellte werden, falls ein solches Gremium gebildet wurde, vom Sprecherausschuss vertreten (der aber deutlich weniger Rechte als ein Betriebsrat hat).
Da sich die Definitionen des leitenden Angestellten im Kündigunschutz- und Betriebsverfassungsgesetz voneinander unterscheiden, ist in jedem Einzelfall je für sich zu prüfen, ob ein Arbeitnehmer ein leitender Angestellten im Sinne des einen oder des anderen Gesetzes ist. Während das KSchG in seinem § 14 Abs. 2 Satz 2 bzw. § 17 Abs. 5 im wesentlichen auf die Berechtigung des Angestellten zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern abstellt, kommt es für § 5 Abs. 3 BetrVG grob gesagt darauf an, dass man unternehmerische Weichenstellungen beeinflussen kann. Leitender Angestellter im Sinne der Betriebsverfassung ist nämlich, wer „nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb“
- zur selbständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt ist (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG) und/oder wer
- Generalvollmacht oder Prokura hat, wobei die Prokura im Verhältnis zum Arbeitgeber „nicht unbedeutend“ sein darf (§ 5 Abs. 3 Nr. 2 BetrVG) und/oder wer
- regelmäßig sonstige Aufgaben wahrnimmt, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebs von Bedeutung sind und deren Erfüllung besondere Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzt (§ 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG). Bei dieser Auffangvorschrift ist vorausgesetzt, dass der Angestellte seine Entscheidungen im Wesentlichen frei von Weisungen trifft oder sie maßgeblich beeinflusst.
Soll ein Chefarzt demzufolge leitender Angestellter im Sinne der Betriebsverfassung sein, müssen in der Regel die Voraussetzungen von § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG vorliegen, da Chefärzte in der Regel ebensowenig eine selbständige Einstellungs- und Entlassungsbefugnis haben wie eine (nicht bloß "titularmäßige") Generalvollmacht oder Prokura.
Die Frage ist daher, ob Chefärzte regelmäßig Aufgaben wahrnhmen, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder eines Betriebs von Bedeutung sind, und ob sie diese unternehmerisch bedeutsamen Entscheidungen im Wesentlichen frei von Weisungen treffen oder sie maßgeblich beeinflussen. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, gehören auch Chefärzte zu den "Schäfchen", um die sich der Betriebsrat als guter Hirte kümmern muss. Zu dieser Frage hat sich in einer aktuellen Entscheidung das Bundesarbeitsgericht (BAG) geäußert (BAG, Beschluss vom 05.05.2010, 7 ABR 97/08).
Betriebsrat und Arbeitgeber stritten in einem jahrelang geführten Rechtsstreit über die Frage, ob der Chefarzt der Geriatrischen Abteilung eines Krankenhauses als leitender Angestellter im Sinne der Betriebsverfassung anzusehen ist oder nicht.
In dem Krankenhaus waren etwa 530 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt sind, davon 95 Ärztinnen und Ärzte. Unterhalb der Geschäftsführung gab es eine Betriebsleitung, die aus einem der Geschäftsführer, der Pflegedienstleitung und dem ärztlichen Direktor bestand. Mit Ausnahme der Röntgenabteilung standen den acht medizinischen Abteilungen des Krankenhauses jeweils leitende Abteilungsärzte als Chefärzte vor. Eine dieser medizinischen Abteilungen war die Klinik und Tagesklinik für Geriatrie, die seit ihrer Inbetriebnahme zum 01.06.2004 von dem Chefarzt geleitet wurde, über dessen Einordnung als leitender Angestellter sich Betriebsrat und Arbeitgeber stritten.
Das Jahresgrundgehalt des Chefarztes betrug 180.000,00 EUR. In der von ihm geleiteten Abteilung Geriatrie waren arbeiteten außer ihm als Chefarzt zwei Oberärzte und fünf weitere Ärzte sowie im Pflegebereich 26,5 Vollkräfte. Die Geriatrie verfügte über 41 von insgesamt 405 stationären Krankenhausbetten sowie seit 2006 über weitere 15 Betten in der Tagesklinik. Damit erzielte die Geriatrie im Jahr 2007 immerhin 12 % des im Krankenhaus erwirtschafteten Gesamtumsatzes.
Im Arbeitsvertrag des Chefarztes hieß es unter anderem:
„Der Dienstnehmer ist leitender Angestellter (…). Er führt Heilbehandlungen selbstständig, eigenverantwortlich (…) durch. Der Umfang seiner Leistungen wird durch Leistungsspektrum und Jahresbudget des Dienstgebers begrenzt. Beide werden zu Jahresanfang im medizinischen Zielplan gemeinsam abgestimmt (…).“
Der Prozessverlauf ist außergewöhnlich, da der Fall zweimal (!) vom BAG entschieden wurde. Zuerst hatte das Arbeitsgericht Hagen als erste Instanz über diesen Fall zu entscheiden und kam zu dem Ergebnis, dass der Chefarzt leitender Angestellter im Sinne des BetrVG ist (Beschluss vom 26.06.2005, 5 BV 41/04). Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm bestätigte diese Ansicht und entschied ebenfalls zugunsten des Arbeitgebers, d.h. es beurteilte den Chefarzt wie bereits das Arbeitsgericht als leitenden Angestellten (Beschluss vom 07.07.2006, 10 (13) TaBV 165/05). Dann aber hob das BAG die Entscheidung des LAG Hamm auf und verwies den Rechtsstreit an das LAG zu weiteren Aufklärung des Sachverhaltes zurück (BAG, Beschluss vom 10.10.2007, 7 ABR 61/06), woraufhin das LAG Hamm im zweiten Anlauf zu dem Ergebnis kam, dass der Chefarzt nicht zu den leitenden Angestellten gehört (LAG Hamm, Beschluss vom 10.10.2008, 10 TaBV 24/08 - wir berichteten in Krankenhausrecht aktuell: 09/001 Chefarzt kein leitender Angestellter). Doch damit gab sich der Arbeitgeber immer noch nicht zufrieden und rief erneut das BAG an, das den Streit jetzt endgültig entschied.
Das BAG kam wie bereits das LAG Hamm in seinem zweiten Anlauf zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG nicht vorlagen. Zwar sprach pro leitender Angestellter die zwingende Mitsprache des Chefarztes bei Investitionsentscheidungen. Allerdings wurden entsprechende Entscheidungen über das Leistungsspektrum und das Jahresbudget nach dem Anstellungsvertrag des Chefarztes mit diesem lediglich „abgestimmt“. Daraus kann, so das BAG, nicht der Schluss gezogen werden, dass der Chefarzt einen Einfluss hat, an dem die Geschäftsleitung „nicht vorbeigehen" kann. Dies ist es dann der Fall, wenn die Entscheidungen nicht ohne Zustimmung des Chefarztes getroffen werden können. Im übrigen konnte das BAG auch der tatsächlichen Durchführung des Vertrags nicht entnehmen, dass der Einfluss des Chefarztes auf die Unternehmensleitung „maßgeblich“ war.
Das BAG folgt damit seiner bisherigen Linie, nach der sehr hohe Hürden zu überwinden sind, bevor ein Arbeitnehmer als leitender Angestellter aus dem Schutz des Betriebsverfassungsrechts herausfällt. Diese Hürden werden, so kann man aus der vorliegenden Entscheidung des BAG herleiten, bei Chefärzten in der Regel nicht überwunden. Allerdings ist eine nicht ganz unbedeutende Einschränkung zu machen: Ist Arbeitgeber ein kirchliches Krankenhaus, gelten anstelle des BetrVG kirchliche Mitarbeitervertretungsordnungen (MVG im Bereich der Diakonie, MAVO bei Einrichtungen der Caritas). Und hier, d.h. in einem Krankenhaus mit kirchlicher Trägerschaft, hat das BAG eine Chefärztin als leitende Angestellte angesehen (BAG, Urteil vom 10.12.1992, 2 AZR 271/92). Die Kirchen haben nämlich ein verfassungsrechtlich verbürgtes Recht, ihre inneren Angelegenheiten selbst zu regeln. Und daher kommt es auch bei der Frage, wer leitender Angestellter ist und wer nicht, entscheidend auf das kirchliche Selbstverständnis an. Und nach diesem Selbstverständnis sind „unternehmerische Aufgaben“ nicht so entscheidend für die Frage des "leitenden" Charakters einer betrieblichen Position.
Fazit: Anders, als man zunächst erwarten könnte und entgegen dem Selbstverständnis vieler Chefärzte sind diese nur im Ausnahmefall leitende Angestellte im Sinne des BetrVG. Dass siein medizinischer Hinsicht weisungsfrei arbeiten, spielt dabei keine Rolle, da die Heilbehandlung keine unternehmerische Aufgabe ist. Die Rechtssprechung betont im Übrigen, dass die konkreten Umstände des Einzefalls ausschlaggebend sind: „Es lässt sich nicht pauschal sagen, ob eine ganze Berufsgruppe dem Begriff des leitenden Angestellten unterfällt“. (Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 31.07.2008, 9 TaBV 267/07).
Es gibt damit im Ergebnis viel weniger leitende Angestellte im Rechtssinne als Arbeitnehmer und Arbeitgeber oft annehmen, so dass man eine entsprechende Bewertung - insbesondere als Arbeitnehmer - nie unkritisch als gegeben hinnehmen sollte. So stellt sich z.B. im Falle der Kündigung eines Chefarztes immer die Frage, ob diese möglicherweise deshalb unwirksam ist, weil der Betriebsrat vor der Kündigung nicht gemäß § 102 BetrVG angehört wurde.
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Letzte Überarbeitung: 18. April 2012