06.04.2011. Im Herbst des Jahres 2006 kam es zu großen Ärztestreiks. Kurz zuvor, zum 30. September 2005, war der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) ausgelaufen und mit Wirkung zum 1.10.2010 durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) ersetzt worden. Die Ärztegewerkschaft - der Marburger Bund - war unzufrieden mit den im TVöD ausgehandelten Bedingungen. Er kündigte seine Tarifgemeinschaft mit ver.di auf und schloss nach zähen Verhandlungen eigene Tarifverträge mit den Trägern von Kliniken im öffentlichen Dienst. Diese „TV-Ärzte“ sehen unter anderem insbesondere für Oberärzte eine höhere Vergütung als der TVöD vor.
Die Ärzte hatten gewonnen. Alle Ärzte? Nein. Ein Tarifvertrag findet nämlich grundsätzlich nur unter drei Voraussetzungen Anwendung auf ein Arbeitsverhältnis:
- Der Arbeitgeber ist Mitglied eines Arbeitgeberverbandes
- Der Arbeitnehmer ist Mitglied einer Gewerkschaft
- Die beiden Verbände haben einen Tarifvertrag geschlossen, der das Arbeitsverhältnis erfasst.
Liegen die Voraussetzungen vor, gilt der Tarifvertrag gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) unmittelbar und zwingend für das Arbeitsverhältnis. Für den TV-Ärzte/VKA bedeutet dies: Nur wenn der angestellte Arzt Mitglied im Marburger Bund und das ihn beschäftigende Krankenhaus Mitglied im Verband der kommunalen Arbeitgeber (VKA) ist, gilt er gemäß §§ 3 I, 4 I TVG. Ist der Arzt etwa ver.di-Mitglied und der Arbeitgeber im VKA organisiert, gilt der TVöD.
Neben der unmittelbaren und zwingenden Wirkung eines Tarifvertrages, gibt es auch eine „mittelbare“. Verweist nämlich der Arbeitsvertrag durch eine „Bezugnahmeklausel“ auf einen Tarifvertrag, so gelten dessen Vorschriften wie jede andere arbeitsvertragliche Regelung. Unabhängig davon, ob die Vertragsparteien tariflich organisiert sind.
Bezugnahmeklauseln finden sich in der Mehrzahl der Arbeitsverträge. Im Bereich der Krankenhäuser ist eine sogenannte „kleine dynamische Bezugnahmeklausel“ besonders häufig. Sie verweist auf einen genau benannten Tarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung. Dessen Entwicklung wird also im Arbeitsverhältnis schuldrechtlich nachvollzogen. In vor 2005 geschlossenen Anstellungsverträgen von Ärzten findet sich zumeist eine Verweisung auf den BAT.
Hier sind wiederum verschiedene Formen verbreitet. Die Klauseln verweisen
- lediglich auf den BAT in seiner jeweils geltenden Fassung,
- auf den BAT in seiner jeweils geltenden Fassung und auf die ihn ergänzenden Tarifverträge,
- den BAT in seiner jeweils geltenden Fassung und auf die ihn ergänzenden und verändernden Tarifverträge
oder
- auf den BAT in seiner jeweils geltenden Fassung und auf die ihn ergänzenden, ändernden und ersetzenden Tarifverträge.
Fraglich ist, was nun für diese Alt-Verträge gelten soll, da es den BAT nicht mehr gibt. Der BAT in seiner letzten Fassung, ohne weitere Entwicklung? Der TVöD? Oder der TV-Ärzte/VKA?
Verschiedene Landesarbeitsgerichte hatten inzwischen über Fälle zu entscheiden, in denen der Arbeitgeber nach dem TVöD zahlte und Ärzte Bezahlung nach dem TV-Ärzte/VKA verlangten. Die meisten haben zuungunsten der Ärzte entschieden. Auch das Bundesarbeitsgericht kam in einem Fall, in dem auf den BAT in seiner jeweils Fassung und die ihn ergänzenden und verändernden Tarifverträge verwiesen wurde zur Anwendung des TVöDs (BAG, Urteil vom 24.08.2010, 4 AZR 14/09).
Kürzlich hatte das LAG Düsseldorf über eine Klausel der zweiten Art zu entscheiden.
In dem Verfahren stritt ein Arzt darum, nach dem TV-Ärzte/VKA bezahlt zu werden. Der Arbeitgeber war nicht im Arbeitgeberverband organisiert. Im Arbeitsvertrag fand sich folgende Bezugnahmeklausel:
„§ 2 Für das Arbeitsverhältnis gilt der Bundes-Angestelltentarifvertrag in der (…) jeweils für den Bereich der kommunalen Arbeitgeberverbände geltenden Fassung (BAT/VKA) (…). Ergänzende Tarifverträge finden ebenfalls Anwendung, sofern sie für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände gelten (…).“
Nach Ablauf des BAT am 30. September 2005 bezahlte der Arbeitgeber den Kläger ebenso wie die anderen in dem Krankenhaus beschäftigten Ärzte nach dem TVöD. Nachdem am 1. August 2006 der TV-Ärzte/VKA in Kraft getreten war der Kläger der Ansicht, Bezahlung nach dem TV-Ärzte verlangen zu können. Dieser sei der speziellere Tarifvertrag für in Krankenhäusern beschäftigte Ärzte. Der Arbeitsvertrag sei deshalb so auszulegen, dass er ihn in Bezug nehme.
Er verlangte vom Arbeitgeber, die Differenz zwischen der Vergütung nach dem TVöD und dem TV-Ärzte/VKA seit dem 1. August 2006, insgesamt fast 22.000 €.
Nachdem das Arbeitsgericht Oberhausen dem Kläger das Geld zugesprochen hatte (ArbG Oberhausen, Urteil vom 5. August 2009, 3 Ca 26/09), war die Berufung des Arbeitgeber vor dem LAG Düsseldorf erfolgreich. Der Arbeitgeber war nicht verpflichtet, den Kläger nach dem TV-Ärzte zu bezahlen.
Nach dem LAG Düsseldorf ist der TV-Ärzte ist nämlich weder eine „Fassung“ noch eine „Ergänzung“ des BATs. Schon seinem eigenen Wortlaut nach, sollte er den BAT vielmehr „ersetzen“. Auch der Zweck der Klausel gebiete nicht, den TV-Ärzte anzuwenden. Denn sie soll lediglich sicherstellen, dass überhaupt eine dynamische Fortentwicklung der Arbeits- und Vergütungsbedingungen gewährleistet sei. § 305 c II Bürgerliches Gesetzbuch, nach dem eine AGB, die mehrere Auslegungsmöglichkeiten zulässt, zugunsten des Arbeitnehmers auszulegen ist, könne nicht angewendet werden. Denn eine Möglichkeit, die Klausel so auszulegen, dass der TV-Ärzte in Bezug genommen sei, bestand hier auf Grund des Wortlauts nicht. Genausowenig verweise die Klausel aber auf den TVöD.
Mit Auslaufen des BATs sei vielmehr eine Lücke im Arbeitsvertrag entstanden. Diese hätten die Parteien geschlossen, indem sie ab dem 1. Oktober 2005 einvernehmlich den TVöD anwendeten.
Das Bundesarbeitsgericht kam in seinem Urteil vom 24.08.2010 (BAG, Urteil vom 24.08.2010, 4 AZR 14/09) auf etwas anderem Wege zum selben Ergebnis: Auch ihm zufolge kann die Klausel nicht so ausgelegt werden, dass sie auf den TV-Ärzte oder auf den TVöD verweist. Die entstandene Lücke im Arbeitsverhältnis schloss es selbst, indem es den Vertrag ergänzend so auslegte, dass nun der TVöD anzuwenden sei (so auch: BAG, Urteil vom 09.06.2010, 5 AZR 696/09). Beide Gerichte verneinten, dass mit in Kraft treten des TV-Ärzte eine erneute Lücke im Arbeitsverhältnis entstanden war, so dass dessen Anwendung auch deshalb nicht in Betracht kam.
Geklärt ist damit inzwischen, das der TVöD und der TV-Ärzte weder Fassungen des BATs sind, noch diesen ergänzende oder verändernde Tarifveträge. Allein eine entsprechende Bezugnahmeklausel führt deshalb nie zur Anwendung des TV-Ärzte. Denn die mit Ende des BATs entstandene Lücke wird durch den TVöD geschlossen. Spannend ist aber, wie das BAG über eine Klausel entschieden würde, die ausdrücklich auch auf die den BAT „ersetzenden“ Tarifverträge verweist. In diesem Fall wäre zu erwarten, dass letztlich doch der TV-Ärzte anzuwenden ist.
Fazit: Für Ärzte mit Altverträgen, die auf den BAT verweisen bleibt im Grunde nur der Weg über den Eintritt in den Marburger Bund, um vom TV-Ärzte zu profitieren. Und auch der hilft nur, wenn der Arbeitgeber ebenfalls an den TV-Ärzte gebunden ist. Anderes gilt möglicherweise, wenn der Vertrag auch auf die den BAT ersetzenden Verträge verweist.
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Letzte Überarbeitung: 18. April 2012