Für eine wirksame fristlose Kündigung reicht es nicht, einen im Allgemeinen ausreichenden wichtigen Grund vorweisen zu können. Denn die Kündigung muss auch, so § 626 Abs.1 BGB, im Einzelfall "unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile" angemessen sein. Ein wichtiger Grund kann ein Diebstahl sein, wobei auch die Entwendung geringwertiger Sachen - im Allgemeinen - genügt.
In seinem Emmely-Urteil vom 10.06.2010 (2 AZR 541/09) hat das BAG entschieden, dass ein lange ohne Beanstandungen beschäftigter Arbeitnehmer so viel Vertrauen seines Arbeitgebers erworben hat, dass dieses durch einen (geringwertigen) Diebstahl in der Regel nicht schlagartig zerstört werden kann. Wer einen Fehltritt begeht und eine Sache im Wert von einigen Euro oder Cent stiehlt, jedoch über 20 Jahren beanstandungsfrei seiner Tätigkeit nachgegangen ist, hat eine zweite Chance verdient, so der BAG.
Das Arbeitsgericht Hamburg hat sich mit der Frage befasst, ob diese Nachsicht auch gilt, wenn eine Krankenschwester gleich eine ganze "Runde" Pausenbrötchen für sich und ihre Kolleginnen schmeißt.
Eine seit 1991 beschäftigte und daher tarifliche unkündbare Krankenschwester hatte vor dem Arbeitsgericht Hamburg gegen eine fristlose Kündigung geklagt. Folgender Vorfall war der Grund:
Die Krankenschwester acht halbe belegte Brötchenhälften aus dem Kühlschrank im Pausenraum, welche nicht für das Pflegepersonal des Krankenhauses, sondern für externe Mitarbeiter wie z.B. für Rettungssanitäter bestimmt waren. Dort wurden die Brötchen von der Krankenschwester und ihren Kolleginnen verspeist.
Die Krankenschwester gab bei der Anhörung zu dem Vorfall sofort alles zu. ihr eigenes Essen sei aus dem Kühlschrank gestohlen worden, gab sie als Grund an.
Daraufhin wurde sie außerordentlich und fristlos gekündigt. Für den Fall der Unwirksamkeit sprach ihr Arbeitgeber hilfsweise eine Kündigung "mit sozialer Auslauffrist" aus, d.h. er gewährte der Klägerin die längste denkbare tarifliche Kündigungsfrist.
Der Kündigungsschutzklage wurde stattgegeben. Das Arbeitsgericht stützte sich dabei auf folgende Überlegungen:
Bei solchen gegen den Arbeitgeber gerichteten Eigentumsdelikten ist immer zu prüfen, ob das beeinträchtigte Vertrauen des Arbeitgebers nicht durch eine Abmahnung wieder hergestellt werden kann. Nach Ansicht des Gerichts hätte das Krankenhaus statt einer Kündigung eine Abmahnung (als milderes Mittel) aussprechen können.
Die Krankenschwester hat die (an sich "erhebliche") Pflichtverletzung offen begangen und später nicht abgestritten, sondern sofort zugegeben, was zu ihren Gunsten sprach. Außerdem hatte der Arbeitgeber 23 (!) Dienstjahre lang keinen Grund zu Beanstandungen ihres Verhaltens. Deshalb war die streitige fristlose Kündigung unverhältnismäßig und daher unwirksam, so das Arbeitsgericht.
Fazit: Arbeitgeber kommen mit fristlosen Kündigungen als Reaktion auf sog. Bagatelldiebstähle jedenfalls dann nicht mehr durch, wenn das Arbeitsverhältnis schon "lange" bestanden hat. Das hat das vorliegende Urteil des Arbeitsgerichtes Hamburg gezeigt.
Letztlich hätte man den Fall aber ebenso (= zugunsten der Krankenschwester) entscheiden müssen, wenn diese "nur" vier oder fünf Jahre beschäftigt gewesen wäre. Denn bei offener Wegnahme geringwertiger und zum sofortigen Verzehr bestimmter Lebensmittel ist eine fristlose Kündigung ohne vorherige einschlägige Abmahnung in aller Regel unwirksam.
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Letzte Überarbeitung: 8. Februar 2017