Chefärzte tragen die medizinische Letztverantwortung für die von ihnen geleitete Abteilung bzw. Klinik und müssen hier den ärztlichen Dienst organisieren und tragen. Auch das Einhalten der zu gewährleistenden Facharztstandards im Krankenhaus zur Organisieren der Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienste fällt in ihre Verantwortung.
Zur persönlichen Teilnahme an diesen Diensten sind Chefärzte in der Regel jedoch nicht verpflichtet, außer es ist im Arbeitsvertrag geregelt. Krankenhäuser schlagen in den letzten Jahren vermehrt Klauseln in Chefarztverträgen vor, die eine Verpflichtung des Chefarztes zur persönlichen Teilnahme an Rufbereitschaften vorsehen. Für Bereitschaftsdienste wird eine solche Vereinbarung dagegen eher selten getroffen.
Folge dieser Vertragsklauseln ist, dass der Chefarzt neben der organisatorischen Verantwortung für die Abhaltung der Rufbereitschaften und Bereitschaftsdienste durch die ihm zugeordneten Fachärzte und Oberärzte auch selbst „ran muss“. Dies ist in aller Regel auf eine Höchstzahl von Diensten pro Monat begrenzt.
Auch bzgl. der Bezahlung dieser Dienste besteht Vertragsfreiheit. D.h. sieht der Chefarztvertrag eine im Hause übliche Vergütung pro Rufbereitschaft oder pro Bereitschaftsdienst vor, besteht ein Vergütungsanspruch.
Ist jedoch eine gesonderte Vergütung der persönlichen Teilnahme des Chefarztes an Rufbereitschaften und/oder Bereitschaftsdienste vertraglich gar nicht geregelt oder durch eine Abgeltungsklausel sogar ausdrücklich ausgeschlossen, wird der Fall problematisch.
Solche Klauseln sind nämlich auch bei Chefarztverträgen als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) des Arbeitgebers, im Fall also des Krankenhauses anzusehen. Damit unterliegen diese AGB einer recht strengen Rechtskontrolle gem. § 305 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB.
In Bezug auf formularvertragliche Abgeltungsklauseln bei Überstunden ohne Eingrenzung ihres zeitlichen Umfangs („pauschal“) hat das Bundesarbeitsgericht 2010 entscheiden, dass diese Klauseln unklar und daher unwirksam sind (BAG, Urteil vom 01.09.2010, 5 AZR 517/09).
Fraglich ist, ob diese Rechtsprechung auf Abgeltungsklauseln in Chefarztverträgen übertragbar ist und ob sich daraus ein Vergütungsanspruch auf geleistete Rufbereitschaften ableiten lässt.
In den Jahren 2009, 2010 und 2011 bezog der Chefarzt des Streifalls ein vertraglich geregeltes Jahresfestgehalt von gut 100.000,00 EUR zuzüglich eines Anteils an den von ihm erzielten Privatliquidationen, die zwischen ca. 16.500,00 EUR und ca. 20.500 ,00 EUR pro Jahr schwankten.
In den vorgenannten Jahren nahm er persönlich an etwa 15 Rufbereitschaftsdiensten pro Monat teil und verlangte deshalb eine entsprechende zusätzliche Vergütung. Der katholische Krankenhausträger, bei dem der Chefarzt beschäftigt war, verwies auf den Vertrag und lehnte ab.
Gemäß diesem Vertrag war der Arzt dazu verpflichtet, an Rufbereitschaften und an Bereitschaftsdiensten mit nachgeordneten Ärzten "turnusgemäß im Wechsel teilzunehmen". Festgelegt waren dabei "durchschnittlich mindestens 10 Rufbereitschaftsdiensten im Monat".
Einer anderen Klausel zufolge sollte mit einer monatlichen Zulage von 2.140,00 EUR brutto "Überstunden sowie Mehr-, Samstags-, Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit jeder Art sowie Bereitschaftsdienste, Rufbereitschaftsdienste und Unterrichtserteilung abgegolten" sein. Eine gesonderte Vergütung war somit ausgeschlossen.
Mit seiner Klage auf Bezahlung der geleisteten Rufbereitschaften scheiterte der Chefarzt vor dem Arbeitsgericht Arnsberg (Urteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 06.11.2012, 1 Ca 670/12) und legte daraufhin Berufung zum Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm ein, wo er 133.950,78 EUR forderte.
Auch das LAG entschied gegen den Chefarzt. Zur Begründung heißt es:
Die umstrittenen Klauseln in dem Chefarztvertrag waren zwar möglicherweise AGB und als solche möglicherweise unklar und damit wegen Verstoßes gegen § 307 Abs.1 Satz 2 BGB unwirksam, weil sie den Umfang der zu leistenden Bereitschaftsdienste und Rufbereitschaften nicht genau genug geregelt hatten (was das LAG offen ließ). Das aber half dem Arzt nichts, denn er konnte nur dann eine Vergütung für diese Dienste verlangen, wenn er als Arbeitnehmer eine "objektive Vergütungserwartung" hatte.
Diese Erwartung aber sprach ihm das LAG ab, da er mit seiner jährlichen Gesamtvergütung von deutlich mehr als 100.000,00 EUR erheblich über der Beitragsbemessungsgrenze zur gesetzlichen Rentenversicherung lag.
Hintergrund dieser vom LAG herangezogenen Verdienstgrenze ist die aktuelle Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu unklaren und damit gegen § 307 Abs.1 Satz 2 BGB verstoßenden Überstundenabgeltungsklauseln. Dieser Rechtsprechung zufolge gibt es keine allgemeine rechtliche Regel, der zufolge jede Überstunde bezahlt werden muss, falls eine eindeutige vertragliche Regelung dieses Inhalts fehlt. Vielmehr kann der Arbeitnehmer einen Anspruch nur dann (hilfsweise, falls der Vertrag keine Regelung enthält) auf § 612 BGB stützen, wenn er eine "objektive Vergütungserwartung" hat.
Und eine solche Vergütungserwartung ist laut BAG nicht anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer "Dienste höherer Art" leisten muss oder (!) wenn er insgesamt "eine deutlich herausgehobene Vergütung" erhält. Hier wiederum macht sich das BAG an der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung fest. Wird sie überschritten, kann der Arbeitnehmer ohne entsprechende vertragliche Regelung nicht verlangen, dass ihm jede einzelne (Über-)Stunde gesondert bezahlt wird (BAG, Urteil vom 22.02.2012, 5 AZR 765/10 - wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 12/086 Überstundenvergütung auch ohne Vertrag).
In diesem BAG-Urteil heißt es (Rn.21):
"Die - objektive - Vergütungserwartung wird deshalb in weiten Teilen des Arbeitslebens gegeben sein (...). Sie wird aber fehlen, wenn arbeitszeitbezogene und arbeitszeitunabhängig vergütete Arbeitsleistungen zeitlich verschränkt sind (...) oder wenn Dienste höherer Art geschuldet sind oder insgesamt eine deutlich herausgehobene Vergütung gezahlt wird (...). Von letztem Fall wird regelmäßig ausgegangen werden können, wenn das Entgelt die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet. Mit dieser dynamischen Verdienstgrenze gibt der Gesetzgeber alljährlich zu erkennen, welche Einkommen so aus dem in der Solidargemeinschaft aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten herausragen, dass damit keine weitere Rentensteigerung mehr zu rechtfertigen ist. Wer mit seinem aus abhängiger Beschäftigung erzielten Entgelt die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet, gehört zu den Besserverdienern, die aus der Sicht der beteiligten Kreise nach der Erfüllung ihrer Arbeitsaufgaben und nicht eines Stundensolls beurteilt werden. Ihnen und ihren Arbeitgebern fehlt regelmäßig die objektive Vergütungserwartung für ein besonderes Entgelt als Gegenleistung für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeit."
Unter Bezugnahme auf dieses Urteil lag es für das LAG Hamm nahe, die Berufung zurückzuweisen. Denn auch wenn es im vorliegenden Streitfall nicht um Überstunden im engeren Sinne, sondern um die Bezahlung von Rufbereitschaften ging, so hatte der klagende Chefarzt doch
- zweifellos "Dienste höherer Art" zu leisten,
- lag mit seinem Jahresgehalt erheblich über der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung (die 2013 bei 69.000,00 EUR liegt),
- konnte sich nicht auf die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) der Caritas berufen, da diese nicht für Chefärzte gelten, und
- konnte auch kaum plausibel mit der von den Oberärzten bezogenen Vergütung pro Rufbereitschaft argumentieren, da er mit diesen nicht vergleichbar war.
Das LAG Hamm ließ die Revision zum BAG zu, weil es mit seinem Urteil von einem Urteil des LAG Düsseldorf abwich, das in einem vergleichbaren Fall einem Chefarzt Vergütung für geleistete Rufbereitschaftsdienste zugesprochen hatte (LAG Düsseldorf, Urteil vom 06.05.2010, 13 Sa 1129/09). Allerdings war das Urteil des LAG Düsseldorf im Mai 2010 und damit vor dem o.g. BAG-Urteil aus dem Jahre 2012 ergangen. Die Aussichten des Klägers sind daher nicht besonders gut, sollte er sich für eine Revision entschieden.
Fazit: Chefärzten und Oberärzten, die den Karriereschritt zum Chefarzt vor sich haben, ist dringend zu raten, den von der Klinikleitung vorgelegten Entwurf eines Chefarztvertrags anwaltlich prüfen zu lassen und auch das weitere Hin und Her der Vertragsentwürfe bis zur Unterzeichnung anwaltlich begleiten zu lassen.
Denn wie der vorliegende Streitfall zeigt, sind heutzutage viele (und gerade kleinere) Häuser nicht übermäßig generös bei der Vergütung ihrer Chefärzte, und von der arbeitnehmerfreundlichen Rechtsprechung zur Kontrolle unangemessener Arbeitsvertragsklauseln haben Chefärzte wenig bis gar nichts, wenn es um ihre Vergütungsansprüche geht.
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Letzte Überarbeitung: 9. Februar 2017